Die Entwicklungen in der Halbleiterindustrie und ihre Auswirkungen auf die Reinraumtechnik

Prof. Gernod Dittel; Carinthia University Kärnten

Neben den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Reinraumtechnik in den Life Science Branchen hat sich das Offizielle Interesse für die Belange der technischen Branchen, vornan mit der Halbleiterindustrie in den letzten Jahren etwas „abgekühlt“. Dies erkennt man vordergründig an dem Stellenwert dieser Applikationen auf Messen und in Fachartikeln. Außerdem ist eine Konzentration der Reinraumbranche auf Life Science Anwendungen zu erkennen. Diese Anwendungen sind auf Grund der sehr stark reglementierten Anforderungen z.B. in der Pharmazie einem hohen Maß an Standardisierung unterworfen. Die daraus entstehenden Lösungen entsprechen demzufolge auch im hohen Maße den Anforderungen aus diesen Bereichen. Dies hat zur Folge, daß die Möglichkeiten, die aus der Lösung von Reinheitsproblemen in den technischen Branchen erwachsen, bei weitem nicht ausgeschöpft werden. Ursache ist die sehr weitverbreitete Anlehnung an reglementierte Forderungen aus Life Science Bereichen.

Diese Entwicklung hat zwar weniger die Gestaltung von Reinräumen und deren zugehörigen Bereichen beeinflusst, doch viele andere technisch ausgerichtete Branchen orientieren sich sehr oft noch an den Anforderungen aus dem Life Science Bereich und weniger an den Erfahrungen und Anforderungen, welche in Halbleiterfabriken existieren. Dies hat zur Folge, daß z.B. Hersteller von Sensoren in Reinräumen produzieren, in denen eine klassische Herstellung von pharmazeutischen Produkten erfolgen könnte. Damit wurde die Chance vergeben, einerseits produkt- und prozeßspezifische Lösungen einzusetzen und andererseits eine kostenoptimierte Reine Fertigung aufzubauen.

Die Halbleiterindustrie hat es seit ca. 15 Jahren mit der Einführung der 300 mm – Technologien geschafft, daß die Anforderungen an die Umgebungsparameter, an den Reinraum, mehr und mehr gesenkt werden konnten. Aus der Forderung der SEMATECH-Richtlinie Integrated Minienvironment Design Best Practices (1) „The minienvironment should be integrated during the earliest designs of the process equipment and should not be an afterthought later in process equipment build” sind die Hersteller von Prozeßmaschinen für die Halbleiterindustrie in die Pflicht genommen worden, die erforderliche Produktreinheit innerhalb der Maschine zu gewährleisten und damit in Reinräumen der Klassifizierung z.B. ISO 6 (nach ISO 14644/1) eingesetzt werden zu können. Diese Forderung hat sich auch sehr schnell „rückwirkend“ auf die 200 mm – Technologien ausgewirkt. Heutzutage sind die Minienvironments Standard im Frontend (Chipherstellung auf dem Wafer) der Halbleiterindustrie und der Ballroom, in dem mit dem offenen Produkt (Wafer im Magazin) gearbeitet wird, eher die Ausnahme.

Wie geht es weiter mit den Anforderungen der Halbleiterindustrie? Wo ist man heute angekommen? Was sind die Herausforderungen? Antwort gibt uns die Roadmap der ITRS (International Technology Roadmap for Semiconductors). Die Roadmap wird kontinuierlich weitergeschrieben und hat sich innerhalb der letzten Jahre von den zeitlichen Abfolgen und auch inhaltlich stark weiterentwickelt. Neben den Entwicklungsschwerpunkten bei den einzelnen Prozeßschritten aus dem Halbleiterprozeß, widmet man sich sehr den Fragen der Gutausbeute, da diese wesentlich den Kostenfaktor bestimmen. Ein wichtiger Punkt sind alle Anforderungen an die Produktumgebung, die innerhalb der Minienvironments, FOUPS, SMIF-Pods bzw. im Reinraum herrschen müssen. Dabei bezieht man sich beim Reinraum nur auf die unmittelbare Produktumgebung und nicht auf den Reinraum in seiner Gänze. An dieser Stelle soll hier ein kurzer Auszug aus dieser Roadmap einen kurzen Einblick in die hohen Anforderungen ermöglichen.

Jahr der Produktionsaufnahme 2011 2013 2017 2020 2023 2026
Physical gate length (nm) 24 20 14 10,7 8,1
Critical particle size (nm) 25 20 12,6 8,9 6,3 4,5
Number of particles ( /m³) ISO 2 ISO 1 ISO 1 ISO 1 ISO 1 ISO 1
Temperature range +/-K 1,0 1,0 1,0 1,0 1,0 1,0
Humidity range +/-% rH 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0

Tabelle:                   Technology Requirements for Wafer Environmental Contamination Control (2)

Dieser kurze Ausschnitt lässt nur annähernd erahnen, wohin die Entwicklung gehen wird. In der Gesamtauflistung dieser Tabelle sind über 400 Parameter aufgeführt. Es wird sich auf partikuläre und molekulare Kontaminationen bezogen, in der Luft am POE (Point of Exposure) und im Reinstwasser. Viele Parameter sind noch nicht mit Werten unterlegt, da man zwar den Einfluss dieser Kontaminanten auf den Prozess erkannt hat, aber die Forschung noch nicht so weit ist, um Grenzwerte festzulegen.

Das Verharren auf der Reinheitsklasse der Luft von ISO 1 beruht vor allem auf zwei Gründen. Erstens sind die Luftreinheitsklassen nicht weiter als bis ISO 1 definiert und andererseits fehlt es an der notwendigen Meßtechnik, um höhere Klassifizierungen mit einer hinreichenden statistischen Sicherheit nachzuweisen. Aus der Kenntnis des Abscheideverhaltens von Schwebstoffiltern läßt sich ableiten, daß von dieser Seite her die notwendigen Abscheidegrade erreicht werden und die vorhandene Klassifizierung, zumindest vorerst, ausreicht.

Aus diesen Gründen wird den Fragen zur Reinraum- und Reinheitstauglichkeit der Prozeßmaschinen eine weitaus höhere Bedeutung zukommen, als es derzeit schon geschieht. Sind die existierenden Filtertechniken ausreichend, dann können nur noch interne Partikelquellen, die dem Equipment oder den Prozeßmedien oder dem Produkt entstammen für eventuelle Kontaminationen verantwortlich gemacht werden. Dies erfordert eine Intensivierung der Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Reinraumtauglichkeit.

Die Entwicklung im Frontend der Halbleiterfertigung schreitet weiter voran. Die erste Versuchslinie zur Herstellung von Halbleiterchips auf 450 mm Wafern wird derzeit in Albany NY aufgebaut. An der Entwicklung stabiler Laserquellen zur Erzeugung der Strukturen bis in den Bereich von 7 nm wird vorangetrieben. Strukturbreiten von 20 nm werden derzeit schon in Produktion realisiert, Strukturbreiten von 14 nm sind in einer Prototypenfertigung bereits erzeugt worden.

Diese Entwicklungen erzeugen dann auch weiterführende Forderungen, wie auf der ASMC 2013 (SEMI Advanced Semiconductor Manufacturing Conference) diskutiert wurde:

  • Reduzierung des Energieverbrauchs der Fertigungsgeräte
  • Reduzierung des Materialverbrauchs von Prozeßgasen und Prozeßflüssigkeiten
  • Reduzierung der laufenden Kosten der Fabrik
  • Ökologische Gesichtspunkte

Des weiteren wurde auf diesem Kongreß darauf verwiesen, daß sich die ständig wachsenden Forderungen an das produktnahe Fertigungsumfeld nicht nur auf das Frontend der Halbleiterindustrie beschränken, sondern auch mehr und mehr im Backend (Packaging) Relevanz entwickeln. Vor allem die Kombination mit der Mikrosystemtechnik, bei der mechanische und optische Komponenten mit den Halbleiterbauelementen auf dem Wafer bereits kombiniert werden, verlangen mehr und mehr definierte Bedingungen, die denen im Frontend schon sehr nahe kommen.

Schaut man sich in weiteren technisch orientierten Branchen um, setzen sich die Technologien, welche in der Halbleiterindustrie entwickelt wurden, auch dort durch. Ob Kunststoffspritzgießen,  Oberflächenbeschichtung, Automobilindustrie, Optik, Laserherstellung u.a., überall findet man Minienvironmentlösungen, die einerseits die Prozeßanforderungen weitaus besser realisieren als ein herkömmlicher Reinraum und auch wirtschaftlicher in Erstellung und in den laufenden Kosten sind.

Literatur:

  • Integrated Minienvironment Design Best Practices; Technology Transfer # 99033693A-ENG; International SEMATECH; March 31, 1999
  • ITRS Roadmap 2011; http://www.itrs.net/Links/2011ITRS/Home2011.htm

Ihre Gernod Dittel